Geschichte
"Die Welt ist unser Boot. Die Freiplatzaktion möchte eine Gegenkraft zur fremdenfeindlichen Stimmung des Volkes wie auch zur jetzigen harten Asylpolitik sein. Wir sind der Meinung, dass Flüchtlinge uns, weit über das humanitäre Prinzip hinaus, unmittelbar etwas angehen. ... Wir leben heute als Nationen in weltumspannenden Ordnungen, die wir mitbestimmen und die uns bestimmen. ... Wir sind uns bewusst, dass Flüchtlingshilfe nicht die Lösung des Flüchtlingsproblems ist. ... Da es sich bei den Symptomen um Menschen handelt, verdienen sie unsere ganze Aufmerksamkeit. Flüchtlinge sind Signale für die brennendsten Probleme unserer Welt. Schliessen wir vor ihnen nicht unsere inneren und äusseren Grenzen!"
Quelle: "Die Welt ist unser Boot. 30 Jahre Freiplatzaktion. Zur Geschichte der Asylbewegung und der schweizerischen Migrationspolitik 1985-2015".
1940er
Der protestantische Pfarrer Paul Vogt (1900 – 1984) engagiert sich seit den 1930er Jahren für verfolgte Jüdinnen und Juden. Neben einigen Hilfswerken ist der später als "Flüchtlingspfarrer" bezeichnete Vogt einer der wenigen, der sich für die Flüchtlinge einsetzt. Dabei schreckt er auch vor kritischen Worten an die Adresse der schweizerischen Behörden nicht zurück. Die opportunistische Schweizer Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland zeigt sich in der Erfindung des stigmatisierenden "J" im Pass von Jüdinnen und Juden. Gemäss der Losung "Das Boot ist voll" werden 1942 die Grenzen für aus Deutschland kommende jüdische Flüchtlinge geschlossen und diese zurückgeschickt – in den sicheren Tod.
Während des Zweiten Weltkriegs baut Paul Vogt die Freiplatzaktion auf. Im Rahmen dieser Hilfsaktion arbeiten verschiedene Institutionen und Personen aus dem konfessionellen und nichtkonfessionellen Bereich zusammen. So können zahlreiche Flüchtlinge gerettet werden und die schweizerischen Arbeitslager umgehen. Viele der Verfolgten werden von den Mitarbeiter_innen der Freiplatzaktion privat untergebracht und betreut. In Böckten bei Sissach, in Tänikon bei Aadorf, in Breganzona und in Klosters entstehen vier Freiplatzheime für jüdische Flüchtlinge. Finanziert wird die Aktion durch den von Vogt initiierten "Flüchtlingsbatzen". 1943 wird Vogt das vom Kirchenbund ins Leben gerufene Flüchtlingspfarramt übertragen, wobei er sich zu einem grossen Teil der Koordination der Freiplatzaktion widmen kann.
1973
30 Jahre später lassen Aktivist_innen der Kooperative Longo mai und ein anderer "Flüchtlingspfarrer", Cornelius Koch (1940 – 2001), die Idee der Freiplatzaktion wiederaufleben. Wiederum wird eine Aktion gestartet, um Flüchtlinge bei Privatleuten unterzubringen. Nach dem Militärputsch durch Pinochet in Chile weigert sich der Bundesrat, politische Flüchtlinge aus Chile in die Schweiz einreisen zu lassen, obwohl Tausende Anhänger des gestürzten sozialistischen Präsidenten Allende systematisch verfolgt und auch getötet werden. Für die Lancierung der zweiten Freiplatzaktion im Dezember 1973 schart Koch ein Unterstützungskomitee von über 50 Personen um sich, zu dem Menschen aus verschiedensten Bereichen, darunter auch ParlamentarierInnen, gehören. Die breit abgestützte Vision einer solidarischen Asylpolitik, welche sich gegen die offizielle schweizerische Politik richtet, löst eine Welle der Solidarität aus: Auf den ersten Rundbrief der Freiplatzaktion melden sich Gemeinden, Kirchgemeinden, Klöster, und Hunderte von Privatpersonen, die Opfer des chilenischen Umsturzes bei sich aufnehmen wollten. Trotz den über 2500 privaten Angeboten will der Bundesrat aber keine Flüchtlinge aus Chile einreisen lassen und führt zur Abschreckung eine Visumspflicht für chilenische Staatsangehörige ein. Via Italien können dennoch zahlreiche chilenische Flüchtlinge in die Schweiz einreisen. Letzten Endes können sich dank der Freiplatzaktion über 2000 Chilen_innen in der Schweiz in Sicherheit bringen.
1980er
1985 wurde die Zürcher Freiplatzaktion für Asylsuchende (ZFPA) gegründet. Ihre Mitglieder stammten hauptsächlich aus der ökumenischen Basisbewegung. Nachfolgendes Zitat stammt aus dem ersten Prospekt der Freiplatzaktion vom Oktober 1985 und steht sinnbildlich für die damalige wie auch heutige Freiplatzaktion Zürich:
"Die Welt ist unser Boot. Die Freiplatzaktion möchte eine Gegenkraft zur fremdenfeindlichen Stimmung des Volkes wie auch zur jetzigen harten Asylpolitik sein. Wir sind der Meinung, dass Flüchtlinge uns, weit über das humanitäre Prinzip hinaus, unmittelbar etwas angehen. ... Wir leben heute als Nationen in weltumspannenden Ordnungen, die wir mitbestimmen und die uns bestimmen. ... Wir sind uns bewusst, dass Flüchtlingshilfe nicht die Lösung des Flüchtlingsproblems ist. ... Da es sich bei den Symptomen um Menschen handelt, verdienen sie unsere ganze Aufmerksamkeit. Flüchtlinge sind Signale für die brennendsten Probleme unserer Welt. Schliessen wir vor ihnen nicht unsere inneren und äusseren Grenzen!"
Wie heute war die ZFPA in Vorstand und Büro gegliedert. Zusätzlich gab es eine Kerngruppe, in der sich die freiwilligen Aktivist_innen alle sechs Wochen trafen und austauschten. Als Forum trieb die ZFPA die Asylbewegung wesentlich voran. 1986 wurde die Aktion "Kontakt mit Asylsuchenden" ins Leben gerufen. Ihr Ziel war, den damals mehrheitlich in Zivilschutzbunkern untergebrachten Asyl suchenden Menschen, die bereits damals während den ersten sechs Monaten ihres Aufenthalts in der Schweiz nicht arbeiten durften, Kontakte zur Aussenwelt zu vermitteln und einen Austausch mit der lokalen Bevölkerung zu schaffen. Die ursprüngliche Idee, Freiplätze, nämlich private Unterbringungsmöglichkeiten jenseits der Durchgangszentren zu schaffen, musste aufgrund bürokratischer Hürden wieder fallengelassen werden. Die ZFPA setzte sich darüber hinaus kritisch mit den ersten Entwicklungen im Asylgesetz auseinander. In den 1980er Jahren stand insbesondere das Schicksal von Flüchtlingen aus Chile, Sri Lanka und der Türkei im Vordergrund.
1990er
Ab den 1990er Jahren verlegte die ZFPA ihren Schwerpunkt auf die Rechtsarbeit. Bereits damals machte die asylrechtliche Beratung, das Studium von Dossiers sowie das Verfassen von Rechtsmitteleingaben den Grossteil der Arbeit aus. Jährlich wurden bereits zwischen 500 und 1'000 Beratungen durchgeführt. Nebst dem Sekretariat waren auch Freiwillige in der Rechtsarbeit aktiv. Von grosser Bedeutung war weiterhin die Arbeit der Kerngruppe, die den Anspruch auf politisches Engagement stets aufrechterhielt. Sie trat an die Öffentlichkeit, wehrte sich aktiv gegen die damaligen Asylgesetzrevisionen und setzte sich für eine menschliche Asylpraxis ein. Seit 1991 erschien – bis heute – vierteljährlich der “Rundbrief”, in dem über die Tätigkeiten der ZFPA berichtet wurde und asylrechtliche Entwicklungen kritisch beleuchtet wurden. Gegen Ende der 1990er-Jahre trat die Kerngruppe der ZFPA allmählich in den Hintergrund – und mit ihr der politische Aktivismus, der die ZFPA seit ihren Anfängen geprägt hatte.
2000 bis heute
Die ZFPA vollzog den Wandel zur Rechtsberatungsstelle nun vollends. Ab 2002 erhöhten sich die durchgeführten jährlichen Beratungen auf über 1'000. Pro Jahr wurden um die 150 Rechtsmitteleingaben verfasst. Politisch setzte sich die ZFPA – nun vor allem über den “Rundbrief” – insbesondere gegen die wiederholten Asylgesetzverschärfungen ein und informierte kritisch über die Entwicklungen im Asyl- und Ausländerrecht. Im Jahr 2003 erfolgte die Umbenennung der "Zürcher Freiplatzaktion für Asylsuchende" in "Freiplatzaktion Zürich – Rechtshilfe Asyl und Migration". Ab 2008 engagierte sich die Freiplatzaktion in der Öffentlichkeit politisch aktiv für eine liberale Härtefallpraxis im Kanton Zürich sowie für eine menschliche Behandlung von abgewiesenen Asylsuchenden im Rahmen der Nothilfe. Seit 2011 setzte sie sich zudem für Asylsuchende im Ausland ein und verfasste zahlreiche Asylgesuche aus dem Ausland (sogenannte Botschaftsgesuche). Die politische Öffentlichkeitsarbeit der Freiplatzaktion gewinnt seit 2013, im Rahmen von Vorträgen und der Organisation von Veranstaltungen, sowie Kooperationen mit anderen politischen Akteur_innen wieder zunehmend an Gewicht.